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Wie beim Wandern Landschaft, Umgebung und Körper verschmelzen

Im Schwarzwald gibt es zahllose Möglichkeiten Touren zu unternehmen, leichte und schwierige, kurze und ausgedehnte, etwa auf den Höhenwegen. Doch wie nimmt man sich die nötige Zeit und was wird angestrebt? Geht es um den Weg an sich, um die Überwindung einer Distanz oder den sportlichen und gesundheitlichen Gewinn? Eine Woche brauchte Goethe für die Strecke von Karlsbad nach Italien, eine Woche benötigte noch vor wenigen Jahren ein Brief von Europa nach Amerika.

Wanderer im Schwarzwald. ©Kompass Sport

Doch nunmehr hat uns die Schnelligkeit im Griff. Gerade beim Reisen mit hohen Geschwindigkeiten lässt sich jedoch erleben, dass die „gesparte“ Zeit nur eingeschränkt nutzbar ist, da hohes Tempo die Lebenskräfte so strapazieren kann, dass oft mehrere Tage vergehen müssen, bis man am neuen Ort angekommen ist und sich die Zeit nach der übersprungenen Distanz wieder sinnvoll nutzen lässt. Deshalb hier der Hinweis auf ein wenig Grundsätzliches zum Thema aus verschiedenen Jahrhunderten.

Unter der Lust am Gehen stellt man sich in deutschen Gefilden meist ein Wandern vor, das ein etwas altertümliches Image prägt (Bundhose, Rucksack, Spazierstock); dieses kann man getrost hinter sich lassen, auch für längere Strecken benötigt man keine besondere Ausrüstung, lockere Kleidung, leichte Wanderschuhe genügen. Der heutige Deutsche Wanderverband (DWV) pflegt im Übrigen ein weltoffenes Image und bemüht sich sogar um die Integration von Immigranten und Flüchtlingen. Gehen, Wandern, Marschieren und Abschreiten von Wegen ist einfach dem Maß des Menschen angemessen, es ist unsere entwicklungsgeschichtliche Fortbewegungsart, die für Körper und Geist notwendig ist. Früher war zu Fuß gehen Bestandteil des Alltags, doch kaum einer will noch wie im 18. Jahrhundert so oder zu Pferd seine Strecken zurücklegen, vielmehr gilt das rasche Überwinden von Entfernungen als erstrebenswert. Eine Hymne auf das Gehen und Wandern haben viele Dichter und Denker gesungen, nicht nur Johann Gottfried Seume in seinem Erlebnisbericht „Spaziergang nach Syrakus“ (1802), sondern z.B. auch unsere Zeitgenossen Rebecca Solnit („Wanderlust. A History of Walking“) und Bruce Chatwin („Traumpfade“).

Beim Gehen nimmt man an der Mitwelt teil, während Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis mit zunehmendem Tempo nachlassen. Die Füße stehen in Dialog mit dem gesamten Körper und allen Sinnen, mit Augen, Ohren, Nase, sie halten den Leib aufrecht und im Gleichgewicht; Füße und Beine sind für den Menschen ein Werkzeug und verschaffen ihm Bodenhaftung, Gemütsbewegungen wirken sich auf seine Gangart aus.
Der norwegische Autor und Abenteurer Erling Kagge begibt sich in seinem Buch „Gehen. Weiter Gehen. Eine Anleitung“ auf die Spur des aufrechten Gangs; man muss nicht den Mount Everest bestiegen haben, um Kagge zu verstehen. Er ist nämlich auch als Städter leidenschaftlich zu Fuß unterwegs, geht per pedes zur Arbeit und erkundet auf diese Weise etwa tagelang die Stadtuniversen von Los Angeles oder Manhatten. „Das Leben ist ein langer Fußmarsch“, lautet seine Devise; Philosophen, von Rousseau bis Nietzsche, empfindsame Naturliebhaber, (weltliche) Pilger und Künstler aller Zeiten wussten dies bereits und für zahlreiche Schriftsteller war und ist das zu Fuß gehen oder Flanieren eine (Vor-)Form des Schreibens (man denke an Peter Handke).

Kagge vermittelt auf moderne Weise ein Bewusstsein für den Rhythmus des Gehens, in dem Körper und Geist zusammenfinden, Zeit für Zweifeln und Erinnern ist, und die Außenwelt neu wahrgenommen wird. Für ihn ist Gehen eine stille Meditation im Freien, der Ankunftsversessenheit und technischer Beschleunigung zu entgehen versucht, „eine Mischung aus Bewegung, Demut, Gleichgewicht, Neugierde, Geruch, Geräusch, Licht, und wenn ich lang genug gehe: Sehnsucht“, sagt er. Dabei versteht er sich selbst als Natur und seine Mitwelt weder als Objekt, noch als bloßen Anblick, sondern das, worin er sich bewegt. Auf extremere Weise wird das Gehen im Essay „Walking“ (1862) begriffen, je nach Übersetzung lautet der Titel „Vom Spazieren“ oder „Vom Wandern“; der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau wendet sich hier vor allem gegen die Zivilisation und schwärmt von der Begegnung mit der „wilden“ Natur und echten Lebenskraft.

Beim Gehen sind wir dem Takt des Körpers am nächsten, dem Atmen und dem Herzschlag; es ist körperliche Arbeit, die nichts hervorbringt als Bewegung, Gedanken und Erfahrungen; Entfernungen hingegen werden durchmessen bis man an einem Reiseziel ankommt. Michel de Montaigne, der von sich sagt, er schildere „nicht das Sein“, sondern das „Unterwegssein“, beschreibt in seinem Reisetagebuch „Journal de voyage“, wie er sich bevorzugt fortbewegt: „Wenn es rechts nicht schön ist, geht es nach links; wenn ich mich nicht in der Lage sehe, mein Pferd zu besteigen, halte ich an (…). Habe ich vergessen, etwas anzuschauen? Ich kehre um; so finde ich immer meinen Weg. Ich plane keine Linie im Voraus, weder die gerade noch die krumme.“

Während der Sinn des Wanderns ohnehin darin besteht, unterwegs zu sein, will man beim Reisen vor allem an einen Bestimmungsort gelangen; doch Montaigne scheint auch beim Reisen jeder Eile entgegenzuwirken und keinen Umweg zu scheuen. Eine solche Sichtweise wird Heutzutage in Wellness- und Entschleunigungs-Ratgebern empfohlen, unter dem oft klischierten Motto, dass der Weg das Ziel sei. Man muss weder nach Italien, noch an den Nordpol aufbrechen, auch für andere Formen des Weg-Gehens sowie für einen Aufenthalt im Schwarzwald können die Überlegungen von Kagge und die Lektüre des Klassikers Montaigne anregend wirken. Ebenfalls wäre hier Theodor Fontane zu empfehlen, den eine Schottlandwanderung auf die Idee gebracht hat, so etwas müsse sich doch in seiner Heimat erfahren lassen, worüber er 1861 die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ verfasste – auch sie können einem kritischem Tourismus auf die Beine helfen und Lust darauf machen, weiter zu gehen.

Wer gerne in der Gruppe unterwegs ist, für den gibt es zunehmend Angebote im „Gesundheitswandern“, das mehr als Gehen sein will, weil die Fortbewegung zu Fuß – eventuell auch unterstützt durch Nordic-Walking-Stöcke – mit Atemübungen und gezielter Gymnastik kombiniert wird. Physiotherapeuten waren an der Entwicklung des Konzepts beteiligt, das viele Krankenkassen bezuschussen. Zertifizierte Kurse werden bundesweit und wohnortnah angeboten: www.gesundheitswanderfuehrer.de. Möglichkeiten wohin das Auge blickt und ohne großen Aufwand!

Cornelia Frenkel