Allgemein

Von Striebli,Brägli und Nonnenseufzern

Not macht bekanntlich erfinderisch. Zu Zeiten, als es in den abgelegenen Schwarzwaldhöfen noch keinen Strom, geschweige denn Kühlschränke gab, mussten sich die Bewohner anders behelfen, um ihre leicht verderblichen Lebensrnittel möglichst lange genießbar zu halten. Sie erfanden Pökelfleisch und Rauchwürste, Trockenobst und Hartkäse – und so auch den Schwarzwälder Schinken,Räucherspeck und geräucherte Forellen, die mit zu den begehrtesten Produkten der regionaltypischen Schwarzwälder Spezialitätenküche zählen.

Zu haben sind sie nicht nur in Gastronomiebetrieben von der Strauße und der einfachen Vesperhütte bis hin zum Sternelokal, sondern oft auch direkt bei den Schwarzwaldhöfen und in den Herstellungsbetrieben. Oder im Handel, Souvenirshop, Hotel oder der Tourist-Info: denn, was sich ohne Kühlung lange hält, ist auch für den Transport und Versand von besonderem Interesse. Was bis vor wenigen Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Schwarzwälder Tüftler haben es heute sogar geschafft, die wichtigsten Bestandteile der Schwarzwälder Kirschtorte im Präsentkoffer oder einen Kirschkuchen mit in Kirschwasser getränkten Kirschen in der Dose zu kreieren – zum erweiterten Einsatz unter erschwerten Bedingungen wie dem Campingurlaub. Picknick am See, Wandertag in den Bergen oder eben zur Mitnahme und für den Versand ins ferne In- und Ausland. Die bis auf Eier und Sahne fertige Backmischung inklusive Rezept ist eine Idee der Schwarzwald Tourismus GmbH und über Tourist-Infos, ausgewählte Hotels oder das Internet (www.onlineshop-schwarzwald. info) zu beziehen. Der Kirschkuchen in der Dose ist eine Erfindung des Bäckers Johannes Ruf aus St.Peter und in den Bäckerei-Filialen desselben Namens oder im Internet (www.beckesepp.de) erhältlich.

Foto: Reinhold Wagner

Von der frischen Torte gibt es beinahe so viele Varianten wie Hersteller – denn natürlich will jeder Konditor dem beliebten Produkt seine individuelle Note geben, und sei es nur bei der Dekoration. Volker Gmeiner zum Beispiel, Konditormeister und Geschäftsführer des Confiserie- & Kaffeehausunternehmens Gmeiner aus Appenweier, ersetzt einen Teil der Sahne durch eine Art Mousse-au-chocolat. Das macht die Torte nicht unbedingt leichter, aber optisch und geschmacklich vielseitiger. In Todtnauberg findet alle zwei Jahre ein Festival zu Ehren der Schwarzwälder Kirschtorte statt – das nächste 2012. Im Europa Park haben es Schwarzwälder Konditoren im Jahr 2006 sogar zu einem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft: sie schufen die mit 80 Quadratmetern weltgrößte Schwarzwälder Kirschtorte. Für die Erfindung eines derart erfolgreichen Produkts möchte natürlich jeder gerne geadelt werden. Doch ob jener Josef Keller aus Radolfzell zu Recht diesen Titel trägt, der 1915 in einem Cafehaus in Bad Godesberg die Torte in einstöckiger Urversion erfunden haben soll, daran zweifeln heute noch einige Schwarzlwälder.

Dahingegen soll die Kombination der Füllung im Südschwarzwald schon früh bekannt gewesen sein; „Bauersfrauen kochten Süß- und Sauerkirschen, die im Überschuss aus der Ernte vorhanden waren und mischten sie mit Rahm, den sie aus der Milch abschöpften. Dazu träufelten sie Kirschwasser und es entstand die Schwarzwälder Creme, ein Dessert“, weiß Pressesprecherin Gaby Baur von der Schwarzwald Tourismus GmbH zu berichten. Durch die Torte wurden deren charakteristische Zutaten, Schwarzwälder Kirschwasser und Kirschen, ebenfalls zu Rennern. So sehr, dass sogar ein Großteil der berühmten ,.Piemont-Kirschen“ für „Mon cheri“ nicht etwa aus dem Piemont, sondern aus dem Schwarzwald stammen. Dem übrigens größten Kirschenanbaugebiet der Welt.

Dass auch Balsamico-Essig aus dem Schwarzwald kommen kann, beweist der experimentierfreudige Schnapsbrenner Theo Künstel aus Kappelrodeck-Waldulm, Und in der Goldstadt Pforzheim würde man sich nicht mit weniger zufrieden geben, als mit Goldsekt, in dem Sprenkel echten Blattgolds schwimmen. Um bei den Getränken zu bleiben: Nicht nur für besten Wein und Schnaps sind der Schwarzwald und seine Randlagen berühmt. Auch Brauereien heimsen alljährlich Preise ein für ihre Biere – darunter eines, das auf seinem Etikett das Bild des typischen Schwarzwald-Mädels mitsamt Charakterbaum trägt. Nun dass die Brauer in ihrem Eifer (oder nach reichlichem Genuss) Tanne mit Fichte verwechselten. Nicht minder begehrt und gepriesen ist Schwarzwälder Mineralwasser. Und vom Bodenseeraum breitet sich langsam aber sicher das Seezüngle, eine regionale Limonadenmarke, auch im Schwarzwald aus. Was typische einheimische Gerichte angeht, da stehen Zugereiste nicht selten beim Studium der Speisekarte vor so manchem Rätsel, Dabei sind Spätzle und Maultaschen, Flamm-. Zwiebelkuchen und „Neuer Süßer“ ja noch recht weitläufig bekannt. „Brägele“ und „Bibeleskäs“, „Kratzede“ und „Bubespitzle“, „Sulz“ und „Krumbiere“ anhand eines badisch-schwäbischen Wörterbuchs relativ leicht zu übersetzen. Was aber soll ein Ortsfremder mit Begriffen wie „Striebli“ und „Nonnefürzle“ (abgeschwächter: „ Nonnenseufzer) anfangen?

Da ist dann schon mehr Fantasie gefragt. Einer Nudelteigpresse nicht unähnlich sieht dabei das Küchengerät aus, durch das die süßen Striebli ins heiße Fett gedrückt werden, wobei sich die langen „Nudeln“ spiralig verdrehen und ineinander verknoten. Der Seufzer entfährt der Nonne hingegen beim Biss in eines der mit flüssiger Marmelade gefüllten und ebenfalls frittierten Bällchen, die man als Miniaturausgabe eines Berliners oder Krapfen ansehen könnte. Die Entstehung beider Produkte ist auf den notgedrungen raschen Verzehr fetter Süßspeisen vor Anbruch der Fastenzeit zurückzuführen. Was dem Schwarzwald seine Forellen, sind dem Bodensee die Felchen. Im Spätsommer und Herbst gesellen sich zu Schwarzwälder Schinken, Speck und Wild ganz gerne einheimische Waldpilze, im Frühjahr und Sommer Spargel und Wildkräuter und im Winter Kohlsorten. Dabei darf es ruhig auch mal eine schon fast vergessene Sorte wie die Schwarzwurz, der Schwarzkohl oder Vulkanspargel sein. Was sich in der Natur nicht (mehr) findet, wird von Neuem gezüchtet. Das milde Klima der Oberrheinregion erlaubt sogar den Anbau von Trüffeln, Tabak, Reis, Oliven, Zitrus-, Kiwi- und Kaki-Früchten, Von Maroni, Trauben und Lamponi (, den Früchten der Physatis) gar nicht zu reden. Wo ehemals viel Wald gerodet wurde, ist heute Platz für Streuobstwiesen und Bienenzucht – und somit kommen auch würziger Tannenhonig und feinste Marmeladesorten aus dem Schwarzwald. Der Name „Faller“ fällt unweigerlich bei Konfitüre. Und wer beim Stichwort „Käse“ zuerst an Frankreich, Holland oder die Schweiz denkt, der war noch nicht auf der Südschwarzwälder Käse-Route unterwegs. Dass es „den“ typischen Schwarzwälder Käse noch nicht gibt, fuchst die Schwarzwälder schon lange. Weshalb prompt im Herbst vergangenen Jahres der ersteTuniberger Käsemarkt einberufen wurde – unter anderem mit dem Ziel, „den einen“ zu finden und zu kreieren. Mit dem endgültigen Ergebnis aber will man sich noch etwas gedulden – die zu schlagende Konkurrenz ist schließlich groß. Dasselbe gilt für den Wein, Damit aber die nächsten Nachbarn nicht böse werden, wird auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Keller und am Herd immer größer geschrieben; Jüngstes Projekt badisch-elsässisch-schweizerischer Kooperation in Sachen Ess- und Genuss-Kultur ist die kulinarische Rheinkreuzfahrt zwischen Straßburg und Basel, deren Auftakt am 21.3. 2011 stattfand. Artikel von Reinhold Wagner