Südschwarzwald

Spazieren und flanieren in und um die Schwarzwaldmetropole Freiburg, die in diesem Jahr 900 Jahre alt wird

Foto: FWTM Schoenen
Die neue Universitätsbibliothek

Vor hundert Jahren lebte nur eine Minderheit der Menschen in Städten, was sich gründlich geändert hat, mittlerweile sind es fast zwei Drittel, eine Entwicklung, die auch Freiburgs Urbanisierung in den letzten Jahrzehnten beträchtlich vorangetrieben hat. In der 900 Jahre alten Universitätsstadt sind ganze Viertel neu entstanden, wodurch sich Infrastruktur und Architektur gewandelt und modernisiert haben. Dies zeigt der Stadtführer „Freiburg urban“ erstmals systematisch auf, wobei sich die ausgewiesenen Kennerinnen, Gisela Graf und Carola Schark, bewusst vom Klischee der Bächle und Gässle, von Mittelalter und Gründerzeit entfernen. Anhand von rund 60 Bauwerken im gesamten Stadtgebiet zeigen sie vielmehr die Vielfalt der städtischen Architektur, etwa die neue Universitätsbibliothek, das Rathaus im Stühlinger, aber z.B. auch weniger bekannte Neubauten wie „Futur2“, „RedOne“ und „Sternenhof“ sowie die Umgestaltung historischer Gebäude, darunter der Innenhof des Herderbaus. Hintergrundwissen zu Baustilen sowie zur Geschichte verschiedener Quartiere vervollständigen das Buch, das nach Stadtteilen geordnet ist. Ausgangspunkt sind Gebäude, mit denen die Innenstadt erweitert wurde, Pavillon am Ring, Quartier Unterlinden und Platz der Alten Synagoge. An den Rändern ist jedoch ebenso viel Neues zu verzeichnen, z.B. das Haus der Bauern und das Montessori-Schulhaus in der Merzhauserstraße, das Zentrum Oberwiehre (ZO) in der Oberau, das UWC Robert Bosch College in Waldsee und das WaldHaus an der Wonnhalde. Die Stadt wächst aber vor allem Richtung Westen, vom Güterbahnhof bis zur Uniklinik, vom Messegebäude über die Technische Fakultät bis zum Quartier Rieselfeld. Auch an pragmatisch kalkulierten Nutzbauten, etwa diversen Bürokomplexen, Sporthallen sowie einem Flüchtlingswohnheim, lässt sich Interessantes entdecken. In Freiburg werde derzeit so schnell gebaut, dass man mit dem Schreiben kaum hinterherkomme, bemerken die Autorinnen, man denke nur an das Fußballstadion, das den Stadtteil Mooswald verändert sowie an den Versuch, akute Wohnungsprobleme zu lösen, wofür die Planungen in Kleineschholz und Dietenbach stehen. Karten sowie Infos zum öffentlichen Nahverkehr vervollständigen „Freiburg urban“.

Flanieren und spazieren

Doch vor allem als Fußgänger lassen sich diese Veränderungen in der Schwarzwaldmetropole in den Blick nehmen und erkunden, wobei man sich vom Buch der amerikanischen Autorin Lauren Elkin inspirieren lassen könnte, die sich als leidenschaftliche städtische Spaziergängerin versteht und dazu auffordert, nicht für jegliche Kurzstrecke das Auto anzulassen, in die Straßenbahn zu steigen oder das Fahrrad zu benutzen. In ihrem Essay „Flâneuse” schweift sie durch verschiedene Metropolen der Welt (Venedig, Tokio, Paris), entdeckt dabei ihre Freiheit und bestimmt gleichzeitig den in der Kulturgeschichte traditionsreichen Typus des Flâneurs neu, nämlich als Frau, die mit offenem Blick unterwegs ist, um urbane Ereignisse wahrzunehmen und den großstädtischen Raum zu beobachten. Zudem folgt Elkin den historischen Spuren außergewöhnlicher Frauen wie George Sand, Jeanne Rhys und Martha Gellhorn, sieht sich in den Fußstapfen von Virginia Woolf oder Patti Smith und findet auf ihrem Parcours durch aufregende Städte zu einer Sicht auf die Welt, die auch die Leserin und den Leser animiert, den Mikrokosmos jeder beliebigen Stadt forschend und aus experimenteller Perspektive zu erwandern und die eigene Bewegung und visuelle Strukturierung des Raums zu hinterfragen.

Von der Stadt ins freie Umland

Selbstverständlich lässt sich Freiburg auch durch präzise Touren entdecken, was uns das Buch „Kreuz und quer durch Freiburg. Die schönsten Stadtwanderungen“ nahebringt. An Freiburg ist eben bemerkenswert, dass sich der Stadtkern fließend mit dem ländlichen Umfeld verbindet und sich in alle Himmelsrichtungen zahlreiche Möglichkeiten auftun. Von der Altstadt aus gelangt man z.B. rasch zum Schlossberg, von hier lässt sich durch Wald und Feld auf den Rosskopf steigen oder nach Sankt Ottilien wandern. Man kann auch im Wohnviertel Wiehre starten und von dort weiter in den Sternwald, auf den Lorettoberg oder zum Waldsee gehen. Überdies ließe sich von der Wonnhalde nach Günterstal wandern und von dort über St. Valentin wieder in die Stadt zurück. Weiterhin bietet sich ein Rundgang durch das alternative Viertel Vauban an und von dort auf den Schönberg. Von den Stadtteilen Stühlinger und Rieselfeld kommt man ebenso rasch in die freie Natur wie von Herdern; und schließlich gelangt man von Zähringen aus durch die kuriose Altbachschlucht hoch zur Zähringer Burg.

„Glücksorte“ aufsuchen

Freiburg ist eine sogenannte Wohlfühl-Stadt, das finden nicht nur Kathrin Blum und Silke Kohlmann in ihrem Buch „Glücksorte in Freiburg“, in dem sie ihre 80 persönlichen Highlights vorstellen: Münstermarkt, Gartencafé des Tibet-Kailash-Hauses, Sonnenuntergang auf dem Schlossberg, Party-Straßenbahn, Seilbahn auf den Schauinsland, historische Gassen der Altstadt, Dreisam mit belebten Ufern und Schaukel. Dabei werden viele mögliche Stimmungszustände gestreift, von innerer Zufriedenheit bis sonnenverwöhnte Hochstimmung. Nicht zu vergessen: Botanischer Garten, Markt am Alten Wiehrebahnhof, Jazzhaus, Stadtgarten, Schlosscafé, Wasserschlössle, Seepark, Mundenhof sowie Kulinarisches. Vieles in der Stadt reizt zudem durch den Charme des Nebensächlichen, etwa der Dorfbach in Haslach oder der Blick von der Blauen Brücke zum Schönberg. Mit dem „Glück“ ist es aber bekanntlich so eine Sache, finden muss es jeder selbst.

Ausstellungen zur Stadtgeschichte besuchen

Wer sich für die Geschichte der Stadt sowie die historische Entwicklung der Stadt interessiert, der wird zum diesjährigen Jubiläum gut bedient; das Augustinermuseum präsentiert mit „900 Jahre Leben in der Stadt“, anhand von Ausgrabungen, Funden und Dokumenten, eine archäologische Sicht auf Freiburg. Die Stadthistorie und Veränderungen des Stadtbildes werden dem Besucher mittels Grafiken, digitalen Rekonstruktionen, erklärenden Texten und Animationen lebendig nahegebracht. Wer hätte gewusst, dass der Münsterplatz früher als Friedhof diente und das Marktgeschehen in der heutigen Kaiser-Josef-Straße stattfand? Die Ausstellungskonzeption sucht auch Kinder anzusprechen, z.B. durch Audio-Erklärungen oder indem diese ihre Körpergröße mit mittelalterlichen Erwachsenen vergleichen können (denn damals waren die Menschen viel kleiner als heute). Im Museum für Stadtgeschichte findet eine erweiternde Schau statt, „freiburg.archäologie. 200 Jahre Forschen in der Stadt“. Sie zeigt, mit welchen modernen Techniken die Archäologie heute zu arbeiten vermag und welche Methoden früher angewendet wurden.

● Gisela Graf / Carola Schark. Freiburg urban. Neue Architektur in der Schwarzwaldmetropole. 224 S., zahlr. Farbfotos. Rombach 2019
● Lauren Elkin. Flâneuse. Frauen erobern die Stadt – in Paris, New York, Tokio, Venedig und London. Btb 2019
● Kathrin Blum / Silke Kohlmann. Glücksorte in Freiburg. Fahr hin & werd glücklich. Droste-Verlag 2019
● Arndt Spieth. Kreuz und quer durch Freiburg. Die schönsten Stadtwanderungen. Silberburg 2019
● freiburg.archäologie. 900 Jahre Leben in der Stadt. Augustinermuseum und Museum für Stadtgeschichte. Freiburg. Di-So 10-17 Uhr. Bis 4.10.2020

Cornelia Frenkel

Bildquellen

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