Am Saum des südlichen Schwarzwalds
Der schönste Teil des Hochrheins befindet sich zwischen dem Bodensee und der alten Kultur- und Handelsstadt Basel. Ein Abschnitt, der den südlich ausklingenden Schwarzwald säumt und sogleich die deutsch-schweizerische Grenze bildet. Einmal flach und eher träge fließend, dann wieder durch steiniges Gefälle beschleunigt, wälzt der Strom seine bereits beträchtlichen Fluten westwärts, wo er erst ab Rheinfelden zur Großschifffahrtsstraße ausgebaut wurde. Im Süden erhält der Hochrhein, wenn es die Wetterlage zulässt, durch die Alpenkette einen imposant gezackten Hintergrund, von Norden grüßen traulicher die dunklen, weich geschwungenen Höhen des Schwarzwalds, hoch genug, um einen beeindruckt aufschauen zu lassen. Aber fährt man mit dem Auto von Radolfzell aus den Hochrhein entlang Richtung Basel, geht es zunächst durch eine grün-hügelige beschwingte und gleichzeitig beschwingende Landschaft, die noch nichts ahnen lässt vom wilden Wasserfall bei Schaffhausen, dem größten Europas.
In Schaffhausen lohnt sich ein Aufenthalt alleine schon durch die bemalten Prachtfassaden der Altstadt, die bunt deren Historie illustrieren. Bliebe man im Auto sitzen, um auf einer vierspurigen Ausfallstraße durch vorübergehend prosaisches Gebiet weiterzufahren, würde man vom Wasserfall nichts zu sehen bekommen. Einem Zugfahrer bliebe immerhin ein kurzer Blick auf die wilde Gischt, über deren bewaldeten Felsen die Schweizer Fahne flattert.
Natürlich will sich niemand den spektakulären Anblick vom Absturz des Rheins in einer Breite von 150 Metern und einem Gefälle von 23 Metern entgehen lassen. Goethe hielt sich auf seiner Schweizreise einen ganzen Tag hier auf, um sich dem „Naturphänomen in seinem vollen Glanze zu widmen“ und mit eher nüchternem Blick in den Regenbögen über der Gischt Erkenntnisse für seine Farbenlehre zu gewinnen. Ergriffener zeigte sich der Lyriker Eduard Mörike, als er „donnernde Massen auf donnernde Massen geworfen sah“, eine Beschreibung, die auch noch der heutigen Akustik entspricht. Wilhelm Heinse, Dichter des „Sturm und Drang“, sah im Ereignis des Rheinfalls seine eigene innere Verfassung gespiegelt: „Es ist, als ob eine Wasserwelt in den Abgrund aus Gesetzen der Natur hinausrollte.“
Heutigen Besuchern aus aller Welt genügt zumeist ein flüchtiger Blick auf die schäumenden Wassermassen, ein Festhalten mit der Digitalkamera, bevor weitergeeilt wird zum nächsten Ziel. Wer sich aber mehr Zeit und gar einen Kitzel gönnen möchte, der kann sich mit dem Schiff ganz nah an die Wassermassen heranfahren lassen. Und wer den leichten Gischtnebel auf der Haut wahrnimmt, den Geruch des wirbelnden Wassers sowie die Farben und das Licht auf den tanzenden Wellen, ist um ein sinnliches Erlebnis reicher. Der großartige Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher, der vor wenigen Jahren Deutschland an seinen Rändern zu Fuß erkundete, machte auch in Schaffhausen Halt. Von Konstanz kommend, hielt der Zug „an kleinen Bahnhöfen mit schwierigen Doppelnamen, die wie Nachnamen feministischer Dozentinnen klangen. Tägerwile-Gottlieben. Mannenbach-Salenstein.“ Den „fallenden Rhein“ erlebte er als ein „geysirhaftes Ereignis“. An Anschaulichkeit lässt Büschers zeitgemäße Betrachtung nichts zu wünschen übrig: „Seine stürzenden Wasser dampften, schiefe Felsen steckten im Flussbett wie Zähne in einem prähistorischen Kiefer, und was nicht hinabstürzte, sammelte sich in steinernen Schüsseln, das Wasser nahm darin die Farben eines angestrahlten Thermalbades an. Schaumweiß und algengrün.“