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Auf den Spuren des Christoffel von Grimmelshausen

Die Ortenau erstreckt sich auf rund 70 Kilometern Länge von dem Fluss Oos bei Baden-Baden, bzw. dem Unterlauf der Murg im Norden, bis zum Bleichbach bei Herbolzheim im Süden, wo der Breisgau beginnt. Wirtschaftliches und kulturelles Zentrum ist Offenburg. Typisch für das Landschaftsbild der Ortenau sind die Westhänge des Schwarzwalds, die in dieser Gegend steil abfallen, teils noch bewaldet sind, aber vorwiegend in hügelige Wein-, Obst- und Gemüseplantagen übergehen; des Weiteren tun sich wunderschöne Täler auf, die zum Wandern einladen. Die Premium-Ziele und Highlights, darunter der Mummelsee, die Gengenbacher Altstadt, die Schlösser Staufenberg und Ortenberg, zudem Kirchen, Klöster, Burgruinen, das Erzbergwerk Silbergründle, Europa-Park, Museum für aktuelle Kunst in Durbach und Garten der zwei Ufer in Kehl, stellt der Kenner Harald Rudolf in seinem Taschenbuch „Best of Ortenau“ dar.

Fabelwesen (© Stadt Renchen)
Fabelwesen (© Stadt Renchen)

Die Ortenau hat auch einen wichtigen Beitrag zur Literaturgeschichte geleistet, weil nämlich hier in der Barockzeit die Dichter Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen und Johann Michael Moscherosch lebten, die beide den 30-jährigen Krieg erlitten und die Verrohung von Militär und Bevölkerung satirisch angeprangert haben. Ihre Wohn- und Wirkungsstätten, die heute Museen sind, verbindet ein vom Literaturarchiv Marbach ausgewiesener Radweg; auch per Auto, Bahn und zu Fuß lässt sich die Tour selbstverständlich unternehmen – sie startet in Oberkirch und führt über Gaisbach nach Renchen und Willstätt.

Grimmelshausen in Oberkirch und Gaisbach
Das alte Rathaus in Oberkirch beherbergt das Heimat- und Grimmelshausen-Museum; hier kann man die Lebensgeschichte von Christoffel von Grimmelshausen kennen lernen sowie
Erstausgaben seiner Schriften bestaunen. Grimmelshausens Schelmenroman „Der Abentheuerliche Simmplicissimus Teutsch“ gilt als wichtigstes Prosawerk des Barock in deutscher Sprache, veröffentlicht 1668 unter dem Pseudonym German Schleifheim von Sulsfort, einem Anagramm seines Namens. Es beschreibt den Lebensweg von Melchior Sternfels von Fuchshaim (ebenfalls Anagramm), der im Dreißigjährigen Krieg von Soldaten verschleppt wird, es zum Offizier bringt, sich aber schließlich von der Welt abkehrt und Einsiedler wird.

Im Oberkircher Ortsteil Gaisbach, von dem aus die Ruine Schauenburg zu sehen ist, befindet sich der Gasthof „Silberner Stern“ und dort hängt ein Bildnis von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1621/22-1676). Ob er so ausgesehen hat, ist nicht gewiss; hier war er jedenfalls elf Jahre lang (1649-1660) Verwalter beim Burgherrn von Schauenburg und hat in der Ortenau insgesamt die zweite Hälfte seines Lebens verbracht, nachdem er im Dreißigjährigen Krieg viel Grausames erlebt und schließlich in drastischen Worten aufgeschrieben hat: „Etliche hatten grausam und jämmerlicher Weis das Ingeweid herauß und andern war der Kopff zerschmettert und das Hirn zerspritzt.“ Neben seiner Verwaltertätigkeit betrieb Grimmelshausen, um eine zahlreiche Kinderschar zu ernähren, zusammen mit seiner Frau die Gastwirtschaft „Silberner Stern“, wo der „Simplicissimus“ (d.h. der Einfache und Einfältigste) entstanden sein soll.

Dieser „Einfältige“ versteckt sich hinter der Maske des Narren: „Es hat mir so wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen.“ Alles ist veränderlich und „Baldanders“ und schließlich zieht sich der „Simplicius Simplicissimus“ in die einsame Schwarzwaldgegend um das Renchtal zurück. Josef von Eichendorff hat bewundert, wie Grimmelshausen „diese bestialische Welt humoristisch zu bewältigen weiß“. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es, dessen mehr als zwanzig Pseudonyme zu entschlüsseln (Melchior Sternfels von Fuchshaim, Philarchus Grossus von Trommenheim u.a.) und sein gesamtes Werk zu identifizieren; es umfasst fünf Bände des Simplicissimus und Folgeromane („Der seltsame Springinsfeld“ und die „Courasche“). Die barocke Originalsprache wurde mittlerweile ins moderne Deutsch übersetzt.

Simplicissimus-Haus in Renchen (© Stadt Renchen)
Simplicissimus-Haus in Renchen (© Stadt Renchen)

Simplicissimus-Haus in Renchen
Im Nachbarort Renchen war Grimmelshausen 1667 Schultheiß, als damals die Truppen von Ludwig XIV. den Ort überfielen. Hier haben Grimmelshausen-Freunde 1976 das „Simplicissimus-Haus“ eingerichtet, ein Museum, das sich vornehmlich mit der Rezeptionsgeschichte des Schelmenromans beschäftigt und diesbezügliche Radierungen und Holzschnitte gesammelt hat. Zahlreiche Künstler haben sich nämlich vom bizarren Frontispiz der Erstausgabe des Simplicissimus inspirieren lassen: er zeigt ein rätselhaftes Mischwesen mit Fischflosse, Flügeln, satyrartigem Kopf, Ziegenbein und Entenfuß. Im Dorfkern von Renchen nehmen darauf Skulpturen eines Brunnens Bezug.

Abzweig nach Achern zur „Mutter Courage“
Bertolt Brecht bewunderte Grimmelshausen, er ließ sich von dessen „Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche“ (1670) für sein Schauspiel „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1939) anregen. Ebenfalls in Grimmelshausens Tradition stehen seine „Kalendergeschichten“, darin eine Hommage an seine Großmutter in Achern, bei der Brecht mehrfach während der Schulferien weilte; von dort aus wanderte er zum sagenhaften Mummelsee – der durch Grimmelshausen zum literarischen Ort wurde. Im Simplicissmus erkundet die Hauptperson nämlich, nachdem sich wundersam die Wasseroberfläche des Sees geteilt und eine Treppe freigelegt wird, zusammen mit dem Seekönig und seinem Gefolge, die unterirdische Welt des Gewässers. Ein Gedenkstein am Ufer des Mummelsees erinnert an den großen Dichter, der nicht nur die Gebrüder Grimm stark inspiriert hat.

Willstätt – Literatur-Museum zu Johann Moscherosch
Festzuhalten bleibt weiterhin, dass Grimmelshausen an den meistgelesenen Satiriker seiner Zeit anschließt, an den in Willstätt geborenen Johann Michael Moscherosch (1601-1669). Dieser hat die „Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt“ (1640-50) verfasst, eine Moralsatire die wesentlich an einer spanischen Vorlage orientiert ist, an dem Sittenbild „Sueño del infierno“ von Francisco-Gómez de Quevedo, das die Laster der Soldateska sowie soziale und religiöse Verrohung bloßlegt. Im Unterschied zum Autodidakten Grimmelshausen war Moscherosch akademisch gebildet, wurde aber weniger bekannt. In Willstätt wird derzeit das Kulturdenkmal „Alte Mühle“ umgebaut, das künftig eine Moscherosch-Ausstellung zeigt.

Cornelia Frenkel

Heimat- und Grimmelshausenmuseum, Oberkirch
Di, Do 15-19, So 10-12.30 und 14-17 Uhr
www.oberkirch.de

Simplicissimus-Haus, Renchen So 15-18 Uhr
www.simplicissimushaus.de

Ein Faltblatt zum Literarischen Radweg 11
Oberkirch-Gaisbach-Renchen-Willstätt erhältlich bei:
Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten Marbach:
www.alim-bw.de

Harald Rudolf, Best of Ortenau, Die 50 Ziele
28 S., 58 Farbaufnahmen, Silberburg-Verlag 2016