Verrückte Welt der Ortsnamen
Wer würde nicht lieber anstelle eines Muggensturms bei Rastatt eine Küssnacht in der Schweiz erleben? Zugegeben: Die Nacht im Himmelreich oder in Sexau zu verbringen, klingt aufregender, als bei einem Notschrei aufzuwachen und festzustellen, dass man in Killer, auf dem Aftersteg oder gar im Höllental gelandet ist. Was aber auf den ersten Blick und oberflächlich betrachtet beim Leser einseitig positive oder negative Assoziationen hervorruft, stellt sich nicht selten als Missinterpretation heraus. Viele scheinbar verrückte Ortsbezeichnungen wurden über die Jahrhunderte hinweg der sich wandelnden Schrift und Sprache angeglichen und dadurch zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verfremdet – oder eben in scheinbar verständliche Begriffe der Neuzeit umgewandelt, mit denen sie ursprünglich rein gar nichts zu tun haben. Den waren Hintergründen auf die Spur zu kommen, ist nicht immer ganz einfach.
Foto: Reinhold Wagner
Welche weitreichenden Folgen eine unglückliche Verquickung von abstrusen Namen haben kann, zeigt folgendes Beispiel: Fernab seiner Schwarzwälder Heimat wurde ein junger Soldat im bayerischen Landsberg eingemustert. Am ersten Tag fragte der dortige Ausbilder ihn – wie alle neu eingetroffenen „Füchse“ – nach seinem Namen. Dieser antwortete korrekt: „Teufel“. Als er aber dann auf die Frage nach seiner Herkunft wahrheitsgemäß „Himmelreich“ angab, glaubte der Kommandant an einen bösen Scherz und raunte den Soldaten an: „Das glauben Sie ja wohl selbst nicht! Wo soll das denn sein?“ Der eingeschüchterte Soldat hätte lieber eine andere Antwort gegeben, aber es blieb ihm ja nichts anderes übrig, als zu antworten: „Im Höllental“. Da platzte dem Vorgesetzten endgültig der Kragen – und der arme Junge landete im Karzer. Und das, obwohl er doch nichts als die reine Wahrheit gesagt hatte.
Diese wahre Begebenheit erzählt man sich heute noch in der Kaserne im fernen Bayern. Mittlerweile aber wissen die Soldaten dort Bescheid, dass alles seine Richtigkeit hatte. Der Schwarzwald steckt eben voller Geheimnisse und seltsamer Ortsnamen. Während aber die genannten Bezeichnungen eher logische Ursprünge haben, gibt es weit verrücktere Herleitungen und Hintergründe zu anderen Ortsnamen. Zunächst: Das Höllental erhielt seinen Namen tatsächlich aufgrund seiner gefährlichen Nadelkurven, den extrem steil abfallenden Felswänden und der dadurch bedingten schwierigen Überwindung dieses Hindernisses bei der Verkehrserschließung. Eine Rast legte der Namensgeber des Ruhesteins in der Tat an selbigem ein. Der Grenzstein Baden-Württembergs liegt an der Schwarzwaldhochstraße beim Naturparkzentrum Ruhestein. Nicht allzu weit davon entfernt liegt der Ort Zuflucht. Auch für diese Gemeinde gilt schlicht: „Nomen est omen“. Ebenfalls bekannt ist, dass der Notschrei am südlichen Schauinsland seinen Namen auch wirklich daher erhielt, dass die dort lebende Bevölkerung einst in ihrer verzweifelten Lage einen Notschrei an Freiburg sandte, die Stadt solle doch endlich eine Straße durch ihre Gemeinden bauen, die den Handel und die Erreichbarkeit dieser abgelegenen Region ankurbeln würde. Als dies nach 30-jährigem erfolglosen Bitten geschah, setzte man der freudigen Botschaft ein Denkmal. Ein Hotel am Pass trägt denselben Namen und erfreut sich heute dank der verkehrsgünstigen Lage an einem Knotenpunkt des Schwarzwalds reger Nachfrage.
Komplizierter wird es mit den Erklärungen, wenn man dem Straßenverlauf vom Notschrei aus in Richtung Süden folgt. Dann fährt man durch Muggenbrunn und Aftersteg – und fragt sich unweigerlich, woher nun wiederum diese Ortschaften ihre Namen haben. Im Falle Muggenbrunn lautet die Deutung: „Das Dorf am ‚Brunnen des Mugge’, der hier das erste Anwesen errichtete und an dem der älteste Weg zum Passübergang Notschrei vorbeiführte“ (Todtnauer Nachrichten, 2. März 1984). Nichts war’s also mit der vermeintlichen „Mücke im Brunnen“. Ebenso wenig lässt sich der Name Aftersteg mit dem Hinterteil des Menschen in Verbindung bringen. Wenn auch im Volksmund ganz gerne mit dieser Assoziation gespielt wird. So bezeichnen die Dorfnachbarn diesen Ort auch als „Fiedlebruck“ (Wolfgang Hug: „Von Badischen und Unsymbadischen“, Theiss Verlag, Stuttgart, 2005). Die Wahrheit ist, wie so oft, eher ernüchternd: „Mit dem Ortsnamen stoßen wir fürwahr auf eine Kuriosität, denn diesen Ortsnamen gibt es nur einmal in der Bundesrepublik“, so beginnt ein Bericht der Todtnauer Nachrichten vom 13. Januar 1984. Und er endet mit der Deutung: „Der Ortsname Aftersteg wird erstmals erwähnt in den Büchern des Klosters St. Blasien um das 14. Jahrhundert, wo dazu vermerkt ist, dass es sich um eine Siedlung nach dem Steg handelt. Es gab also damals über den Stübenbach unterhalb des Wasserfalls nur einen Steg, und die von den angesiedelten Bergleuten bewohnten ursprünglichen sieben Höfe bildeten die Siedlung ‚Nach dem Steg’, also ‚After-Steg’.“
Um nun aber auch endlich dem eingangs erwähnten „Sexau“ seine scheinbare Verruchtheit zu nehmen, sollte auch die Herkunft dieses Namens kurz erklärt werden. In der Orts-Chronik steht darüber zu lesen: „Schon im frühen Mittelalter wird Sexau urkundlich genannt. Um das Jahr 860 n. Chr. schenkte Kaiser Ludwig der Deutsche seinem Sohn Karl unter anderem das Königsgut Sexau, damals ‚Secchosouna’ genannt. Bereits kurze Zeit später bekommt das Kloster Andlau im Elsass den Ort Sexau übertragen.“