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Fluch und Segen der Alten Küche

„Kaspanaze und Mariann wussten die Wochentage von den Sonn- und Feiertagen schon an der Art der Milchsuppe zu unterscheiden. Wenn altes, trockenes Brot im Haus war, wurde dieses in die Suppe eingeweicht, aber das war selten der Fall. Wenn sich aber gelbe Fäden durch die Suppe zogen, die von einem in die Milch eingerührten Ei stammten, wussten sie, dass Sonntag war. Hatten aber auch die Mehlbrösel eine gelbliche Färbung, dann war Feiertag, dann hatte die Mutter den Mehlteig nicht mit Wasser, sondern mit einem Ei angemacht…“ Wenn Elmar Bereuter in seinem Roman „Die Schwabenkinder“ aus alten Zeiten berichtet, werden bei vielen Großeltern Erinnerungen wach. Fleisch und Spätzle, ja, das gab’s, wenn überhaupt, zu wenigen besonderen Gelegenheiten im Jahr. Was man allenfalls noch kannte, waren Rüben, Kraut und Kartoffeln – und vielleicht noch Zwiebeln. Was dem Türken und Griechen der Knoblauch, war dem Süddeutschen die Zwiebel: In der Maultasche Zwiebeln im Brät, auf der Maultasche Zwiebeln und im Kartoffelsalat als Beilage gleich nochmals dazu. Wenn es da nicht oftmals laut zuging bei Tisch. Das Kraut wurde über den Winter selbst eingelegt und lagerte im Steinguttopf, der mit einem Stein beschwert war, im dunklen, kühlen Keller – gleich neben den riesigen Bergen von Kartoffeln, Rüben und – ja, Eierkohlen und Briketts für den Ofen. Die Schüttvorrichtungen an den winzigen Kellerfenstern sind noch heute an vielen älteren Gebäuden zu erkennen.

Der Garten war und ist seit jeher reich an Kräutern und Gemüsesorten. Nur kannten unsere vorigen Generationen vielfach Namen und Rezepte, die über die Zeit in Vergessenheit gerieten – und die heute in dankbarer Erinnerung wieder ausgegraben werden. Sei es aus Traditionsbewusstsein und Liebe zur alten Zeit, oder sei es zum Erhalt der Artenvielfalt und aus Überlegungen heraus, wie die Weltbevölkerung in Zukunft ernährt werden könnte. So gab es Zeiten, in denen der Kaffee aus den gerösteten und gemahlenen Wurzeln der Wegwarte zubereitet wurde. Der als Zichorienkaffee bekannte Kaffeeersatz entstammt derselben Pflanzenfamilie, zu der auch der Chicorée (Name!), die Endivie und der Radicchio gehören – allessamt Salatsorten von charakteristisch bitterem Geschmack. Für diesen verantwortlich ist der Inhaltsstoff Intybin, der magenberuhigende, verdauungsfördernde Eigenschaften besitzt.

Im Zuge der Wiederentdeckung und Förderung alter Gemüsesorten stießen Dr. Diana Pretzell und Projektkoordinator Marius Hörner vom Landesprojekt Plenum Naturgarten Kaiserstuhl im vergangenen Jahr auf ein lange am Kaiserstuhl angebautes, in Vergessenheit geratenes Gemüse. Unter dem Namen „Vulkanspargel“ soll das seither von einigen Landwirten angepflanzte Gemüse ab diesem Jahr wieder zu neuen Ehren gelangen – und in Küchen und Rezepten Verwendung finden. Ihm zur Seite der „Mönchsbart“, das „Kaiserröschen“, die „Kaiserbohne“ und das „Blättle“, ein Kaiserstühler Vital Salat. Einem ansässigen Gastronom, Lothar Koch vom Gasthaus „Zum Kaiserstuhl“ in Niederrotweil, kam das Ganze etwas Spanisch vor.

Er forschte nach und entdeckte: das ihm noch von früher bekannte Gemüse findet rege Verwendung in der italienischen und spanischen Küche, und zwar unter dem Namen „Catalogna“, zu Deutsch „Blattzichorie“. Weshalb also in mediterranen Regionen längst bekanntes hierzulande unter neuem Namen auf den Markt bringen? Für ihn steht eindeutig fest: Was am Kaiserstuhl als „Vulkanspargel“ angeboten wird, ist nichts anderes als die gute, alte „Blattzichorie“ aus Großmutters Zeiten. Und dieser Name ist auch weniger irreführend, denn mit Spargel hat dieses Gemüse nichts zu tun, mit der Zichorie aber sehr wohl. Zu deren Zubereitung hat sich der mehrfach ausgezeichnete und für seine feine regionale Küche bekannte Koch etwas Neues einfallen lassen. Seine Rezept-Empfehlung ist auf der folgenden Seite zu finden.

Im Gegensatz zur Blattzichorie sucht der Gemüseliebhaber in Italien vergeblich nach dem uns so geläufigen Kohlrabi. Woher kommt’s? Alle Kohlsorten – vom Rosenkohl über Grün-, Weiß,- Rot-, Blau- und Schwarzkohl bis hin zum Blumenkohl und Romanesco – stammen von einer gemeinsamen Ursprungspflanze ab, dem Meerkohl. Und dessen Heimat sind die salzig-feuchten, nährstoffreichen Spülsäume der Meeres ufer – allem voran die Marschböden der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Dort ist auch heute noch Europas größtes zusammenhängendes Kohlanbaugebiet. Kein Wunder, dass das eingelegt nahezu grenzenlos haltbare Wintergemüse seit jeher zu unseren Hauptnahrungsmitteln zählt. An Rüben und Wurzeln hingegen scheinen sich die Geschmäcker im Laufe der Zeit deutlich gewandelt zu haben. Doch was spricht eigentlich dagegen, neben Spargel, Karotten und Kartoffeln auch einmal Schwarzwurzel, Pastinaken und Topinambur eine Chance und einen Platz auf der Speisekarte zu gewähren? Oft machen alte Gemüsesorten das Essen nicht nur bunter und geschmacklich abwechslungsreicher, sie sind auch sehr gesund und – mit etwas Fantasie zubereitet – wahre kulinarische Neuentdeckungen.

I n f o s u n d L i t e r a t u r – T i p p s :
– Elmar Bereuter, die Schwabenkinder, Piper Verlag,
München, 8. Auflage 2009
– Keda Black, Alte Gemüsesorten – neu gekocht, AT Verlag
Aarau/Schweiz, 2012
– Dr. Karl von Koerber, Hubert Hohler, Nachhaltig genießen,
Rezeptbuch für unsere Zukunft, Trias Verlag, Verlagsgruppe
Thieme, 2012
– Plenum Naturgarten Kaiserstuhl:
www.naturgarten-kaiserstuhl.de
– „Gutes vom Hof“, Homepage des Landkreises
Freudenstadt, www.landkreis-freudenstadt.de/servlet/
PB/menu/1168085_l1/index.html

– Hotel-Restaurant „Waldgericht“, Dornstetten-Aach:
ältester Gasthof im Nordschwarzwald. Hier wird noch
nach alten Rezepten gekocht. Info: www.waldgericht.de
– Gasthaus zum Kaiserstuhl, Inh. und Koch Lothar Koch,
Niederrotweil, www.gasthaus-zum-kaiserstuhl.de
(siehe Rezept)

Rezepte von Lothar Koch „Zum Kaiserstuhl“

Vulkanspargel mit Gnocchi
(Vorspeise für 2 Personen)

Zutaten:
– 50g Blattzichorie (Vulkanspargel)
(nur die innen hohlen, zentralen
Herzblätter)
– 1 TL Gorgonzola-Butter
(Butter mit etwas Gorgonzola-Käse
vermischt)
– etwas geschnittenes Tomatenfl eisch
– 50g Gnocchi
– 1/4 Birne
– etwas Bechamelsoße

Zubereitung:
Die herausgeschnittenen Herzblätter der
Zichorie waschen, in daumenlange Stücke
schneiden und blanchieren in heißem
Wasser. Die Gnocchi in der Gorgonzolabutter
in einer Pfanne anschwenken, anschließend
die Zichorie dazugeben und
mit Birnenspalten vermengen. Ähnlich
wie ein Ratatouille alles kochen, bis Obst
und Gemüse gar, aber noch bissfest sind.
Das Ganze in eine ofenfeste Form umfüllen,
die Bechamelsoße darüber gießen und
nochmals kurz im Ofen überbacken. Bei
Bedarf mit Pfeffer und Salz abschmecken.
Mit dem geschnittenen Tomatenfl eisch
garnieren und im Förmchen heiß servieren.